Freitag, 28. Oktober 2016
Integrationskurse für Deutsche?
Heute ein spannender Text auf Die Welt:



Professorin Annette Treibel fordert mehr Integrationsleistung von den Einheimischen. Zitat: "Es gehe nicht an, dass sogar in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen mit Migrationshintergrund immer noch gefragt würden, wo sie eigentlich herkämen oder warum sie trotz ihres anderen Aussehens so gut Deutsch sprechen könnten." Das Leitbild einer Einwanderungsgesellschaft solle die Leitkultur ersetzen.

Ich halte es für einen völlig falschen Ansatz. Wenn wir nicht mal definieren können (oder wollen), was das Deutschsein bedeutet, und lieber unsere Kultur und Art des Lebens durch ein schwammiges "Leitbild der Einwanderungsgesellschaft" ersetzen, sollen wir uns nicht wundern, dass uns gerade die Zugewanderten als Menschen ohne eigene Kultur häufig sehen. Denn wie viel wert ist unsere Kultur, wenn wir sie nicht verteidigen?

Gerade für Menschen aus muslimisch geprägten, meistens autoritären Ländern ist ein nichts anderes als Zeichen der Schwäche.

Einiges in dieser Hinsicht erklärte mir mein Sohn, der in zwei Kulturen aufgewachsen ist (Deutsch/Polnisch) und - wie wahrscheinlich mittlerweile jeder in seiner Generation - viele Freunde hat, deren Eltern oder Großeltern aus verschiedenen Ländern nach Deutschland kamen. Im letzten Urlaub lernten wir ein paar Jungs kennen, mit denen er sich dort angefreundet hat. Ich fragte, woher sie kamen, und die Antworten überraschten mich: "Ich bin Albaner, Ich bin Kurde, Ich bin Libanese...". Alle sprachen perfekt Deutsch, so dass ich nochmal nachhakte. Was stellte sich heraus? Die ganze Truppe war in Deutschland geboren, mehr noch - zum Teil waren sogar die Eltern der Jungs in Deutschland geboren. Und der Libanese war noch nie in Libanon.

Warum sehen sie sich nicht als Deutsche, fragte ich später. Weil Deutsche in ihren Augen schwach sind, weil sie Loser sind, erklärte mir Andy. Er wird ohne Bedenken akzeptiert, weil er schliesslich auch ein "Migrant" ist. Wie schrecklich ist das, dachte ich. Die Jungs haben keine Heimat - die neue nicht, weil sie sie ablehnen, und die alte nicht, weil sie dort auch nicht mehr hingehören, und sie häufig nur aus den Erzählungen der Eltern kennen. Uns geht eine ganze Generation verloren, weil wir sie für das "Deutschsein" nicht begeistern können.

Dann fiel mir ein, dass Andy einige tschetschenische und ukraninische Freunde in Polen hat. Wie sieht es dort aus? Lehnen sie auch die polnische Kultur ab? Nein, sagte er. Sie wollen Polen sein. Der Patriotismus, der manchmal an Nationalismus grenzt, dieser unheilbare Stolz, den ich manchmal selbst belächelt habe, das Singen der Hymne mit ernster Miene und aus voller Kehle - all das integriert diese Menschen besser als Tausend Integrationskurse. Sie sehen darin eine Stärke und keine Schwäche.

Ist das das Rezept für eine gelungene Integration? Stolz zu sagen: "Ich freue mich, Deutsch zu sein"? Vielleicht ist es zumindest ein guter Anfang.

Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article159104452/Soziologin-fordert-Integrationskurse-auch-fuer-Deutsche.html

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