Montag, 17. Oktober 2016
Was ist eine Importbraut?
Ich sah vor Jahren eine Reportage über die Demonstrationen nach der Veröffentlichung des Buchs von Thilo Sarrazin "Deutschland schafft sich ab". Abgesehen davon, dass offensichtlich Hunderte Menschen gerne an Demos gegen ein Buch teilnehmen, dass sie nicht gelesen haben (was ich allerdings wegen der Hippie-Stimmung der bunten Demos durchaus nachvollziehen kann), wurde eine große Anzahl von unterschiedlichen Transparenten produziert.

Auf einem konnte man lesen: "Was ist eine Importbraut?".

Damals wusste ich selbst nicht wirklich, was damit gemeint ist, und habe angefangen darüber zu lesen.

Die Definition ist einfach: eine Importbraut ist eine meistens junge/sehr junge und nicht gut gebildete Frau aus dem Herkunftsland des Bräutigams, die nach der Hochzeit zu ihrem Mann nach Deutschland zieht. Das Phänomen ist geradezu endemisch für die muslimische Community; eine kleine Minderheit bilden Frauen aus dem fernen Osten (Vietnam, Thailand), die einen deutschen Partner z.B. online kennenlernen. Ich werde aber über die türkischen/arabischen Importbräute sprechen. Natürlich gibt es auch ein männliches Pendant dazu, nämlich einen Importbräutigam, der beispielsweise aus der Türkei anreist und ein hier geborenes Mädchen türkischer Herkunft heiratet.

Üblicherweise kennen sich die beiden Partnern wenig. Manchmal gibt es vorher ein Treffen, manchmal handelt es sich um eine entfernte Cousine, mit der man schon früher während der Sommerferien in Anatolien spielte, manchmal wird die ganze Angelegenheit von den Familien so arrangiert, dass sich das Paar erst am Hochzeitstag kennenlernt.

Für die Integration ist dieses Phänomen von immenser Bedeutung. Normalerweise stellt man sich die typische Dynamik einer Einwandererfamilie so vor: Eine Generation zieht aus ihrem Herkunftsland in ein neues Land, baut dort eine Existenz auf und bekommt Kinder. Diese zweite Generation wächst zweisprachig auf, wird in ihrer neuen Heimat sozialisiert, hat Freunde aus beiden Kulturkreisen. Wenn diese Kinder erwachsen sind, finden sie häufig einen einheimischen Partner, und so entsteht die dritte Generation, die mit dem ursprünglichen Herkunftsland weniger verbindet als die zweite. Die Menschen gehören von Generation zu Generation kulturell immer mehr zur neuen und weniger zur alten Kultur. Das ist ein ganz normaler Prozess, den jeder beobachten kann, der polnische, italienische oder russische Freunde hat. Ich will damit nicht sagen, dass eine vollständige Assimilation in den ersten drei Generationen erfolgen muss oder wünschenswert ist - es ist ein natürlicher Prozess, den ich ohne Wertung beschreibe.

Kommen Importbräute ins Spiel, wird es komplizierter. Die türkischen/arabischen Mädchen kommen nach Deutschland und landen hier häufig in einer Parallelgesellschaft, die bestens funktioniert. Es gibt einen türkischen/arabischen Arzt, Anwalt, Bäcker... Kontakte zu Deutschen gibt es kaum. Da diese jungen Frauen im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen (ich spreche nicht von Flüchtlingen!), müssen sie weder am Deutsch- noch an einem Integrationskurs teilnehmen. Häufig wissen sie nicht mal, welche Rechte sie haben und dass sie auch nach einer Scheidung in Deutschland bleiben dürften. Ihre Hauptaufgabe wird die Versorgung des Ehemanns und der Schwiegereltern. Sie bekommen früh ein Kind und - da sie nicht arbeiten - meistens gleich ein zweites und ein drittes. Die Integration dieser dritten Generation fängt wieder bei Null an. Da in den muslimischen Kulturen die Mutter die meiste Erziehungsarbeit leistet, und der Vater arbeiten geht, sprechen viele dieser Kinder bei der Einschulung kein Deutsch. Hilfe bei den Hausaufgaben? Fehlanzeige. Wie soll die beste und liebevollste Mutter der Welt ihren Kindern dabei helfen, wenn sie selbst keine Bildung genossen hat? Alles, was der Staat in den Ehemann/Vater investiert hat (Schule, Ausbildung), wird in diesem Fall nicht oder nur begrenzt an die nachfolgende Generation weitergegeben.

Als ich über die Importbräute gelesen habe, dachte ich sofort an meine Patientinnen, die häufig seit 20-30 Jahren in Deutschland leben, und weiterhin kein Deutsch sprechen. Ihre Söhne sprechen zwar perfekt Deutsch, aber was bringt es, wenn für sie möglicherweise auch schon eine Cousine im anatolischen Dorf als künftige Ehefrau ausgesucht wurde? Es fängt also wieder von vorne an...

Dabei war das Thema näher als ich dachte! Letzte Woche unterhielt ich mich mit einer unserer Arzthelferinnen. Yasmin ist eine intelligente, ambitionierte junge Frau mit unglaublich langen Wimpern (sie sind echt!) und schönem schwarzem Haar. Sie kleidet sich sehr westlich und unterscheidet sich nicht von ihren deutschen Kolleginnen - außer dass sie alle, selbstverständlich auch ich, um die Wimpern beneiden. Wie überrascht ich war, als sie mir erzählte, dass ihre Mutter eine klassische Importbraut war! Der Begriff war auch ihr bekannt.

Yasmins Vater ist in Deutschland als Sohn von Gastarbeitern geboren. Seine ältere Schwester wollte Ingenieurin werden und hat nach dem Abitur das Studium begonnen, bevor in der Familie beschlossen wurde, dass sie einen entfernten Verwandten in der Türkei heiraten und dort leben wird (eine Art "Exportbraut", sozusagen). So wie Yasmin mir das schilderte, war ihre Tante anfangs mit ihrem Ehemann - den sie auch ein bisschen vor der Heirat kannte - sehr glücklich. Leider war eine Fortsetzung des Studiums im kleinen Dorf nicht möglich, so dass Yasmins Tante mit ihrem Ehemann, der keine Ausbildung hat, heute auf dem Feld arbeitet und ihr deutsches Leben ein bisschen vermisst.

Kurz nach der Hochzeit, als Yasmins Tante noch auf Wolke sieben schwebte, lernte sie eine nette junge Nachbarin in ihrem kleinen Dorf kennen. Es wurde schnell gehandelt, die Nachbarin wurde dem Bruder während den Ferien vorgestellt und - zack! - diesmal wurde eine Braut nicht in die Türkei exportiert, sondern nach Deutschland geholt. Ja, ihr dürft raten - das war Yasmins Mutter, die heute sehr wenig Deutsch spricht und manchmal unser Team mit orientalischen Leckereien bekocht. Yasmin selbst hat bis zur Einschulung kein Deutsch gesprochen und hat hinter sich eine recht typische türkische Bildungskarriere mit Hauptschule, Umschulung, Realschule und Ausbildung. Yasmin sagt, dass das Phänomen Importbraut auch in ihrer Generation keine Seltenheit ist; sie selbst habe aber mit den frisch aus der Türkei angereisten Frauen wenig gemeinsame Themen, so dass es meistens bei den sporadischen Treffen bei Familienevents bleibt.

Und mich wird ein Gedanke nicht los: wenn diese junge, ehrgeizige Frau mit sechs schon perfekt Deutsch gesprochen hätte, wäre sie heute Ärztin?

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Geschichten aus dem Flüchtlingsheim Part II
Hier kommt eine kleine Geschichte, die so absurd und auf eine eigenartige Weise lustig ist, dass ich mich kaum ärgern kann.

Ein afghanisches Ehepaar mit einem kleinen Kind ist nach einer strapaziösen Reise in Deutschland angekommen und hat Asyl erhalten. Das ganze zog sich wie üblich mehrere Monate, und in dieser Zeit ist die Frau schwanger geworden. Das zweite Kind kam gesund zur Welt. Das einzige Problem war, dass der Ehemann Verdacht schöpfte, dass er nicht der Vater ist. Es warf seiner Frau Untreue vor und verstieß sie, so dass sie mit den beiden Kindern ein anderes Zimmer in der Einrichtung bekommen musste.

Und jetzt kommt das Interessante...

Er ging die ganze Zeit davon aus, dass seine Frau jetzt nach Afghanistan abgeschoben wird.

Er dachte ernsthaft, dass der Aufenthaltstitel seiner Frau ausschließlich auf der Ehe und seiner Anwesenheit im Lande beruht!



Am Ende der Geschichte fragte ich Thomas, ob der Verdacht begründet war. Er meinte ja, die Frau habe es wohl auch eingeräumt.



Na dann, alles halb so wild!

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