Samstag, 24. Dezember 2016
Ich weiß nicht, woher ich komme, aber ich weiß, was ich will
Seitdem die kriminelle Karriere des Anis Amri erschreckend viele Sicherheitslücken im deutschen und europäischen System aufgezeigt hat, beschäftigt mich die sogenannte "Identitätsprüfung". Wir wissen mittlerweile, dass sich Tunesien mehrfach geweigert hatte, ihren Staatsbürger zurückzunehmen und es scheint gängige Praxis der Maghreb-Staaten zu sein, die Staatsangehörigkeit der straffälligen Migranten zu bestreiten.

Ich frage mich, wie das abläuft und wer zu dieser absurden Situation am meisten beiträgt: der deutsche Staat, der abzuschiebende Migrant oder das Herkunftsland.

Nehmen wir mal an, der Migrant möchte zurück - welche Möglichkeiten hat das Herkunftsland, ihn daran zu hindern? Angenommen, ich würde mich außerhalb der EU befinden, aus irgendeinem Grund ohne Papiere und straffällig, und Polen würde mich nicht zurückmehmen wollen (dass die Herkunftsländer in die Versuchung kommen, ist nachvollziehbar - wer möchte schon einen Kriminellen im Lande haben). Da ich aber in diesem spekulativen Szenario zurück nach Hause will, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich meine Heimat diesem Wunsch entziehen könnte. Ich würde schließlich meinen Namen, Adresse, Namen der Eltern, Namen der besuchten Schulen usw. nennen können. Ich würde meine Familie in Polen um eine Bestätigung meiner Identität bitten. Ich würde meine Identifikationsnummer nennen, die jeder Bürger in Polen hat und die ich zufällig auswendig kenne. Eigentlich hätte Polen keine Chance, mich nicht zurückzunehmen und ich glaube, dass es auf alle halbwegs funktionierende Herkunftsländer zutrifft. Wenn die betroffene Person also kooperiert und selbst zurück möchte, sollte die Beschaffung der Papiere möglich sein. Übrigens, bei den freiwillig rückkehrenden scheint die Weigerung der Dokumentenausstellung kein Problem zu sein, was mich noch mehr überzeugt, dass die Einstellung des Betroffenen entscheidend ist.

Nun frage ich mich, warum der Ausreisepflichtige überhaupt kooperieren sollte. Die Wahl ist schließlich zwischen der Heimat, die man verlassen wollte, und einer doch recht angenehmen Existenz in Deutschland. Statistisch stehen die Chancen, hier zu bleiben, sehr gut. Sei es über eine Ausreisepflicht, die nicht vollzogen werden kann, oder über eine Duldung - über 90% der abgelehnten Asylbewerber dürfen in Deutschland bleiben. Zurück in meiner hypothetischen Rolle der straffälligen Polin im Ausland: in Anbetracht dieser ermutigenden Zahlen würde ich selbstverständlich auch nicht kooperieren und möglichst widersprüchlige Angaben machen, damit Polen (selbst nicht besonders daran interessiert, mich willkommen zu heißen) mich ablehnen kann.

Diesen Weg hat offensichtlich auch Anis Amri gewählt. Sieben unterschiedliche Identitäten, drei Nationalitäten. Wer weiß, vielleicht haben bereits Italien oder Deutschland versucht, ihn nach Ägypten oder Libanon abzuschieben, und diese Länder weigerten sich, ihn zurückzunehmen? Zurecht natürlich. Und hier kommen die Sicherheitsbehörden ins Spiel, die für die Klärung der Identität zuständig sein sollten. Wie der Fall Anis Amris zeigt, kann es nicht so schwierig sein, wie uns erzählt wurde. Einen Tag nachdem sein Name gefallen ist, konnten wir bereits ein Interview mit seinem in Tunesien lebenden Bruder sehen. Das Unmögliche wurde möglich. Nur leider mit Hilfe von ein paar engagierten Journalisten, und nicht der Behörden, von denen man das erwarten würde.

Wäre die Bereitschaft, wahre Angaben zu machen, höher, wenn es klar wäre, dass jede falsche Angabe den Asylantrag sofort und ohne wenn und aber kippt? Oder wenn jeder bis zur Identitätsklärung in einer Transitzone bleiben müsste? Und wenn der Antrag schon abgelehnt wurde, würde die Kooperationsbereitschaft steigen, wenn man auf die Papiere in einer Abschiebehaft warten würde (nicht vergessen - wir sprechen von kriminellen Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde)? Ich würde es mit meinem gesunden Menschenverstand für wahrscheinlich halten. Warum passiert es aber nicht so? Insbesondere, warum wird die Abschiebehaft gerade für solche Fälle wie Anis Amri nicht ausgeweitet?

Einen Gefährder lückenlos zu überwachen, erfordert bis zu 30-40 Beamten - das kann die Polizei kaum leisten. Man kann ihn auch nicht einfach einsperren, denn er hat die Tat, die man befürchtet, per definitionem noch nicht begangen. Aber gerade bei ausländischen Gefärdern müsste man sich eigentlich über die Möglichkeit der Abschiebehaft freuen und sie auch nutzen! Offensichtlich ist diese Idee sogar zu den ranghöchsten und bis jetzt eher realitätsfernen Politikern durchdrungen:

Armin Laschet sagt: "Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, müssen unverzüglich abgeschoben werden. Für diese Gruppe abgelehnter Asylbewerber müsse die Abschiebehaft maximal ausgedehnt werden."

Sehr guter Vorschlag! Schade, dass Herr Laschet in der Opposition ist!

Moment mal...

... comment

 
Meine Reaktion war vor allem die Frage wie es sein kann, dass die sieben Identitaeten den Behoerden offensichtlich bekannt waren... Das heisst, irgendwo werden solche Daten gesammelt. Dazu kommt dass der Mann ein Gefaehrder ist. Warum wurde er nicht verhaftet und ausgeliefert? Von mir aus, nach Italien, wenn Tunesien nicht geht? Schliesslich kam er aus Italien nach Deutschland und die Dublinregel haette hier Gueltigkeit.

... link  

 
Vielleicht bin ich naiv, aber wenn der Mann nachweislich und bekannt 7 Identitäten und somit falsche Papiere hat, ist das nicht ungesetzlich? Kann man ihn dafür nicht vor Gericht bringen und verurteilen?

... link  

 
genau das frage ich mich auch....aber es scheint ne menge menschen zu geben,die mehrere identitäten benutzen-wobei diese tatsache eher im zusammenhang mit sozialbetrug der asylbewerber genannt wird....und das eine abschiebung am ende sowieso nicht klappt ist m.e. auch der proasylibdustrie geschuldet....

... link  

 
Meine Frage ist eigentlich warum bekannt Kriminelle nicht rechtsverfolgt und eingesperrt werden, egal wo sie nun herkommen. Warum will man die hin- und herflippen? Die gehören in den Knast.

... link  

 
Ich koennte mir vorstellen, dass irgendwann die Entscheidung getroffen wurde, die Straftaten nicht ze verfolgen, die mit Urkundenfaelschung, doppelte Identitaet etc zu tun haben. Sicherlich auch aus der Sorge heraus, als fremdenfeindlich zu gelten, denke ich. Es gab einen Artikel darueber, dass BAMF bei 2000 Fluechtlingen ganz offensichtlich gefaelschte Paesse gesehen hatte und es einfach sein liess und es nirgenswo meldete. So beginnt glaube ich der erste Schritt dazu, was am Ende zu einen fall wie Anis Amri wird.

... link  

 
aber das ist doch nicht richtig....
wenn ich falsch parke bekomme ich nen strafzettel....wenn ich zu schnell fahre auch.... geschweige denn bei der steuererklärung was zu vergessen!!!! ich fasse es einfach nicht....warum werden manchmal straftaten einfach ignoriert....jemand der mehrere identitäten hat,muss doch böse absichten haben...wozu sonst mehrere pässe??

... link  

 
Naja, ich denke es ist hier in Deutschland einfacher im Gefaengnis zu landen, wenn man Steuerhinterziehung macht (oder Neuerdings auch wenn man GEZ nicht zahlt ;o) als wenn man einen Raub mit Koerperverletzung begangen hat. Auch von etlichen Vergewaltigungsfaellen mit Bewaerhungsstrafe fuer Taeter habe ich gelesen. Ich habe von der Bezeichnung 'Kuscheljustiz' gehoert und dieses Wort beschriebt das ganz gut.

... link  


... comment
 
Der Staat ist mit der ganzen Situation heillos überfordert. Die vielen Flüchtlinge, die ankommen und deren Unterbringung, Ansprüche etc. geklärt werden müssen in Verbindung mit der Problematik der Terrorakte des IS würde jedoch mit Sicherheit auch andere Staaten an die Grenzen des Machbaren bringen.

Die Situation wird ja gern mit der Situation der Nachkriegsflüchtlinge in Deutschland verglichen. Aber dies kann man aus vielerlei Gründen eben nicht so einfach vergleichen. Meine Mutter flüchtete im Alter von fünfzehn Jahren mit meiner Großmutter und ihren zwei jüngeren Schwestern aus Pommern nach Hamburg. Sie und ihre zweitjüngste Schwester mussten ziemlich schnell bei Bauern arbeiten und wurden dabei nicht vor die Wahl gestellt. In der ersten Zeit waren die meisten Flüchtlinge Frauen und Kinder. Viele der Männer – so auch mein Großvater – waren in Kriegsgefangenschaft. Auch damals gab es Anfeindungen gegen die vielen Flüchtlinge, aber der kulturelle Hintergrund war identisch und trotz aller Schwierigkeiten gab es ein „Wir-Gefühl“ von beiden Seiten. Ein Desaster wie im vergangenen Sylvester wäre beispielsweise völlig undenkbar gewesen.

Mit Sicherheit wäre die Situation zur heutigen Zeit nicht mehr dieselbe. Auch die meisten Deutschen wären heute nicht mehr in der Lage, über einen längeren Zeitraum in völlig beengten Wohnverhältnissen ohne jeglichen Komfort zu verbringen. Bei aller Phantasie kann ich mir die jetzigen Jugendlichen nicht ohne Smartphone und Facebook vorstellen und ich kenne durch meine Arbeit genug Menschen, die nicht mehr fähig sind, schwere Arbeit zu verrichten oder aber sich auch einfach nur selbst eine Mahlzeit zuzubereiten. Aber das hohe Konfliktpotential, das sich aus dem Zusammenprall eines völlig anderen Verständnisses der Geschlechtsrollen und des Gemeinwesens ergibt, wäre nicht vorhanden. Und eine Lösung steht nicht in Sicht.

... link  

 
Bitte Kriminelle und Geflüchtete nicht in einem Atemzug nennen
Wenn beide Seiten mit Fingerspitzengefühl aufeinander zugehen, lassen sich viele Konflikte entschärfen. Natürlich geht das nicht mal eben so und es wird immer wieder zu unangenehmen Situationen kommen, aber wenn man im Gespräch bleibt, wenn Geflüchtete viel Gelegenheit haben die Kultur ihren neuen Heimat kennenzulernen unter Menschen, die aber auch Interesse an der Kultur ihres Herkunftskandes zeigen und das Andersartige nicht einfach abwerten, kann das unser Land nur bereichern. Manchmal waren die Menschen von der Flüchtlingshilfe im letzten Jahr auch irritiert, wie die yesidische Familie in unserem Dorf mit manchen Dingen umging. Aber sie wurden trotzdem willkommen geheißen und unterstützt und sie waren sehr freundlich und dankbar, auch wenn sie von unserem Umgang der Geschlechter untereinander gelegentlich befremdet waren. Ich finde auch, dass man die Diskussion um den IS-Terror und die Diskussion um die Fluchtbewegungen nicht unbedingt in einem Atemzug führen sollte, denn die meisten flüchten ja vor dem IS und nicht vor der Kultur der westlichen Industrienationen.

... link  

 
Ich bin kein Experte in dieser Thematik, aber ich bin selbst etwas zurueckhaltend geworden mit dem Wort "Fluechtling".
In meinen Augen ist ein Tunesier oder Marokkaner kein Gefluechteter. Wenn wir dort froehlich zum Urlaub fliegen, und das Auswaertige Amt keine Reisewarnungen gibt, dann gehe ich erst mal davon aus dass dort kein Krieg herscht vor dem man fliegen muss. Ploetzlich sind im Zuge der Zuwanderung Menschen da, die eben keine Schutzsuchende sind, sondern einfach illegale Migranten, die aber - im Gegensatz zu mir - haeufig weder Ausbildung noch grosses Engagement mitbringen, und keine Chance auf ein Arbeitsvisum haetten. Ich finde es ist wirklich fast ein Schlag ins Gesicht fuer alle hartarbeitenden Migranten, dass es jetzt offensichtlich moeglich ist, in Deutschland anzukommen, irgendeine ausgedachte Story der Behoerde erzaehlen und Geld kassieren - vielleicht sogar dreifach oder viefach wenn man schlau genug war, sich unter mehreren Identitaeten zu registrieren.... und auch wenn es rauskommt dass man gelogen hat, ist alles schick, weil man ja sowieso nicht abgeschoben wird, und es wird nicht mal bestraft, und wenn doch eine Abschiebung stattfinden sollte, dann kann man auf die eigene Heimat zaehlen, dass sie alles tun wird, um einen nicht annehmen zu muessen.

Wenn ich mir ueberlege, welchen Zirkus ich in Deutschland mit meinem Mann hatte, wie viele Formulare auszufullen waren, und wie penibel ich auf alles geachtet habe (weil die Deutschen die Ordnung so lieben!), dann fuehlle ich mich etwas vera*scht.

Gleichzeitig moechte ich gar nicht bestreiten, dass man den wirklich Schutzsuchenden helfen soll - man mag streiten, ob man es nicht sinnvoller vor Ort tut, aber dass Menschen im Krieg geholfen werden muss, ist fuer mich indiscutabel. Aber dieses bisschen Differenzierung, wer wirklich Schutz braucht und wer nicht, ist doch ein absolutes Minimum, was wir an Vernunft an den Tag legen sollen.

( Man spricht interessanterweise nicht von vielen ukrainischen Fluechtlingen, obwohl dort tatsaechlich in weiten Teilen des Landes Krieg herscht. Vielleicht weil sie entweder in anderen Teilen des Landes leben koennen, wie meine Familie jetzt in Lemberg, oder weil sie Zuflucht in den Nachbarlaendern bekommen, aber eben nicht mit dem Fluechtlingsstatus sondern mit einem Arbeitsvisum - was fuer beide Seiten von Vorteil ist )

... link  

 
Mir geht es ähnlich wie Ihnen, Sephora. Ich glaube, dass man als Migrant den anderen Migranten strenger gegenüber ist. Das erinnert mich ein bisschen an die Judenwitze, die vom jüdischen Teil meiner Familie mit großem Vergnügen erzählt werden (und zum Teil ziemlich bösartig sind), die sich aber ein Nichtjude definitiv nicht trauen würde zu erzählen :-)

Vielleicht deswegen sind wir auch eher dazu geneigt, von Zuwanderern auch ein bestimmtes Verhalten, Respekt, gutes Benehmen usw. zu fordern und darin keine außergewöhnliche Leistung, sondern deren Pflicht sehen.

... link  


... comment
 
Blick in die Kairoer Erklärung der Menschenrechte
Fingerspitzengefühl wird nichts daran ändern, dass es in Bezug auf das Geschlechterverständnis eklatante Unterschiede gibt und genau diese Unterschiede zu Konflikten führen. Es gibt diverse muslimische Geistliche oder Gelehrte, die betonen, dass die „westliche“ Vorstellung von Gleichheit und Demokratie nicht mit dem Islam zusammen passt. Wenn man das anzweifelt, so sollte man sich mal in Ruhe die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte“ durchlesen, die zwar viele der Menschenrechte der UN-Charta wörtlich zitiert, aber definitiv unter den Vorbehalt der Scharia (!) stellt. Bei Beschluss der Kairoer Menschenrechtserklärung im Jahr 1990 unterzeichneten von 45 von 57 Mitgliedstaaten. Ich habe versucht zu recherchieren, wie viele Staaten aktuell die Erklärung unterzeichneten, was jedoch nicht so ganz einfach war. So wie es aussieht, haben die zuvor fehlenden Staaten die Erklärung inzwischen auch ratifiziert. Dies bedeutet, dass es keinen Staat gibt, der sich völlig von den Wertvorstellungen der Scharia gelöst hat.

Es ist merkwürdig, dass viele Menschen davon ausgehen, dass sich Migranten, wenn sie nur lange genug hier leben, von ihren eigenen Wertmaßstäben abwenden und die westlichen übernehmen. Vielleicht steckt genau darin das eigentliche Missverständnis. Helmut Schmidt hat dies mal als „Abendländische Arroganz“ bezeichnet und ich empfinde diese Bezeichnung als sehr passend. „Unser“ Wertsystem erscheint „uns“ als so perfekt, dass es gar nicht anders sein kann, als dass es irgendwann von jedem übernommen wird. Ich kenne aber viele Menschen mit Migrationshintergrund, die das überhaupt nicht einsehen – was ich auch verstehen kann, denn mir würde es genauso gehen, wenn ich in einer Gesellschaft leben müsste, deren Wertmaßstäbe meinen eigenen widersprechen. Vielleicht würde ich mich nach außen hin anpassen, aber mit ziemlicher Sicherheit würde ich dies niemals aus innerer Überzeugung tun und dies würde sich auch durch noch so viele Diskussionen ändern.


http://www.islamdebatte.de/islamische-schluesseltexte/kairoer-erklaerung-der-menschenrechte-im-islam/

... link  

 
Ich musste ein bisschen schmunzeln...
...bei diesem Satz:

"Bitte Kriminelle und Geflüchtete nicht in einem Atemzug nennen. Wenn beide Seiten mit Fingerspitzengefühl aufeinander zugehen, lassen sich viele Konflikte entschärfen."

@Cristina, ich weiß, dass Sie unter "beide Seiten" nicht "Kriminelle und Geflüchtete" meinten, aber die Vorstellung, dass Kriminelle mit Fingerspitzengefühl auf Flüchtlinge zugehen und umgekehrt, war sehr amüsant :-)

... link  

 
Und jetzt etwas ernster...
Ich habe selbst große Zweifel, ob das Fingerspitzengefühl ausreicht. Natürlich wird die Integration besser gelingen, wenn beide Seiten sich aufeinander öffnen und grundsätzlich dem anderen mit Respekt und Interesse begegnen. Keine Frage - da sind wir uns, glaube ich, alle einig.

Ich glaube auch, dass sich die Zuwanderer der aufnehmenden Gesellschaft in ihrem Verhalten und Wertevorstellungen mit der Zeit nähern - unabhängig davon, ob es sich um Schweizer in China, Marokkaner in Deutschland oder Tschetchenen in Polen handelt. Spätestens in der zweiten Generation ist dieser Prozess meistens im vollen Gange. Die Voraussetzung ist in meinen Augen allerdings, dass es um eine langsame Zuwanderung kleinerer Gruppen geht, die in einer Mehrheitsgesellschaft ankommen. Eigentlich alle mir bekannten Menschen, die ich als bestens integriert (oder einfach deutsch) bezeichnen würde, haben das Glück gehabt, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem sie eine Minderheit darstellten. Meine Kollegin Ümit, die als Gastarbeiterkind nach Deutschland kam, hatte keine türkischen Mitschüler und somit keine andere Wahl, als sich anzupassen, Deutsch zu lernen und einfach das machen, was deutsche Kids machen: in ihrem Fall war es Abi und Medizinstudium. In einem ihrer Bücher schreibt Güner Balci über die sog. "türkischen Klassen" für Kinder der Gastarbeiter, die Pech hatten, in einer Schule mit genug türkischen Kindern zu sein, dass sie in eine Klasse mit dem türkischen Lehrer gesteckt wurden, in einer naiven Vorstellung, dass es diesen Kindern zu gute kommt, so bald sie in die Türkei zurück gehen - was weiter passiert ist, wissen wir alle. Die Kinder sind in Deutschland geblieben, leider ohne Deutschkenntnisse und ohne deutsche Freunde. Deswegen halte ich die Vorschläge wie z.B. "Muttersprachen der Migranten in der Schule fördern" für sehr gefährlich und sicherlich nicht im Interesse der Kinder. Einem Migrantenkind kann nichts besseres passieren, als in einer deutschen Klasse mit max. 2-3 Kids aus ausländischen Familien zu lernen.

Deswegen halte ich die Integrationschancen der Menschen, die im Rahmen der Flüchtlingsbewegung 2015/16 nach Deutschland kommen, für lächerlich niedrig. Es geht gar nicht um die Unterbringung, Verpflegung und Gesundheitskosten - das schaffen wir als reiches Land irgendwie schon. Die wahren Kosten - die Bildung, Kitapflicht, Ganztagsschulen, Sprachförderung, Kontakt mit den deutschen Kindern - das ist m.E. aufgrund der großen Zahl der Zuwanderer in einer sehr kurzen Zeit kaum möglich. Es werden sich leider Parallelgesellschaften bilden bzw. die bereits existierenden verstärken. Ich finde es persönlich schade, dass Deutschland sich entschieden hat, sehr viele Menschen aufzunehmen, die es sehr schlecht integrieren wird, anstatt eine geringere Zahl aufzunehmen und diese wirklich gut integrieren. Davon würden beide Seiten mehr profitieren.

Kairoer Erklärung ist ein gutes Beispiel für ein sehr unterschiedliches Verständnis der Menschenrechte. In diesem Kontext muss man auch die zahlreichen Umfragen sehen, die ergeben haben, dass Flüchtlinge eine ähnliche Wertschätzung der Demokratie und der Menschenrechte angeben wie die Deutschen. Würde man konkrete Fragen stellen, dürften die Ergebnisse anders ausfallen.

... link  

 
Mann, Mann, Mann, hier ist ja was los!
Also 1. ,Sephora, ich sehe das wie Sie, es ist furchtbar, dass so viele Kriminelle aus den Maghreb-Staaten die aktuelle Fluchtsituation ausnutzen. Ich weiß nicht genau, warum es so schwierig ist, sie umgehend zurückzuschicken und welche Folgen es für alle anderen hätte, wenn man hier rigoroser vorgehen würde. Natürlich gibt es auch in Algerien, Marokko und Tunesien politisch Verfolgte. Und es ist für Angehörige dieser Länder nicht so wahnsinnig einfach ins Land zu kommen. Ein algerischer bekannter, den ich Sizilien kennengelernt hatte, brauchte für einen Kurzbesuch bei mir extra eine offizielle Einladung, die ich bei der Ausländerbehörde beantragen musste und ich musste für ihn bürgen und wäre auch regresspflichtig gemacht worden, wenn er beispielsweise Asyl bantragt hätte oder straffällig geworden wäre. Das ist allerdings schon 20 Jahre her.

2. Aus-Sicht-einer-Frau: Dass Sie als Migrantin höhere Ansprüch an Zuwanderer stellen kann ich nachvollziehen.

3. Behrens: Einschränkung von Menschenrechten durch die Scharia finde ich auch gruselig. Ich glaube auch nicht, dass Menschen, die in einer islamisch geprägten Kultur aufgewachsen sind und damit einverstanden sind, hier innerhalb weniger Jahre ihr Wertesystem auf den Kopf stellen. Das täte ich auch nicht, aber ich würde versuchen im "Gastland" bzw. meiner neuen Heimat sozial verträglich mit denen zusammenzuleben, die vor mir da waren. Vor allem, wenn sie mich freundlich aufnehemen würden, würde ich sie nicht gewaltsam bekämpfen. Ich glaube nach wie vor, dass gerade der Islam, der ja nichts anderes als Frieden bedeutet, die Mehrheit seiner Gläubigen zu Frieden und Respekt auch gegenüber Andersgläubigen anhält. Das Frauenbild geht mir auch auf die Eierstöcke, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass frau in patriarchalischen Kulturkreisen (z.B. Sizilien) in guten Kontakt kommen kann, ohne gleich abgewertete zu werden. Mam muss miteinander reden, zuhören, versuchen zu verstehen und da, wo man sich nicht einig werden kann, einen Weg finden, trotzdem respektvoll miteinander umzugehen. Natürlich ist das schwierig und geht bestimmt auch oft daneben. Aber was ist die Alternative?

4. Noch einmal Aus-Sicht-einer Frau: meine unfreiwillige Komik ist Heute-Show-verdächtig :-). Ich finde Sie haben recht, zwei drei Kinder mit Mitgrationshintergrund pro Klasse sind optimal, das sollte ein erklärtes Ziel der Politik sein. Aber wenn jetzt aktuell nun einmal so viele Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen und niemand sie aufnimmt, was tut man dann? Nimmt eine begrenzte Zahl und lässt den Rest krepieren? Wir sind doch Weltmeister im Organisieren und Verwalten. Kriegen wir es nicht hin, die Menschen gut zu verteilen?

... link  

 
@c.fabry: Ich sehe den Isam nicht als Friedensreligion, denn seine Ausbreitung war von Anfang an nicht friedlich, Mohammed hat Andersgläubige bekämpft. Bei seiner Rückkehr nach Mekka hat er die Kaaba von Götterstatuen und Symbolen der altarabischen Kultur „gesäubert“ (so wird es formuliert). Das ist weder tolerant noch friedlich. Und im Koran wird etliche Male zum Kampf gegen die „Ungläubigen“ aufgerufen, so wie ja auch Mohammed diverse Stämme bekämpft hat. Und der Koran ist voll von Aufrufen zum Kampf und zur Vergeltung:

Sure 9, Vers 5: „Wenn nun die Schutzmonate abgelaufen sind, dann tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf!“ Sure 69, Vers 30-33: „Ergreifet ihn und fesselt ihn. Dann lasset ihn im Feuerpfuhl braten. Dann in eine Kette, deren Länge siebzig Ellen, und schleppt ihn. Denn er glaubte nicht an den gewaltigen Gott“ Sure 5, Vers 51: „O die ihr glaubt, nehmt nicht die Juden und die Christen zu Schutzherren! Sie sind einer des anderen Schutzherren. Und wer von euch sie zu Schutzherren nimmt, der gehört zu ihnen. Gewiß, Allah leitet das ungerechte Volk nicht recht“.

Sicher, es gibt auch diverse Koranverse, die zur Vergebung oder zur Milde aufrufen. Aber wer legt fest, welche Verse zu befolgen sind und welche nicht? Ein gewalttätiger Muslim kann sich mit dem gleichen Recht auf den Koran berufen wie ein liberaler. Auch das Alte Testament ist voller Aufrufe zur Gewalt und zur Rache, aber diese auf dem mosaischen Recht beruhenden Texte wurden durch das Neue Testament abgelöst. Die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen und der Holocaust belegen jedoch, dass es sehr vielen Christen nicht sehr ernst war mit der Nächstenliebe. Das hätten diejenigen jedoch empört abgestritten. Darin ähneln sie den muslimischen Fundamentalisten, die auch felsenfest davon überzeugt sind, dass sie das Richtige für ihren Glauben tun.

Worauf es ankommt bei einer Religion, ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewaltpotential und genauso wichtig ist es, einen religiösen Text nicht als irrtumsfrei anzusehen. Daran hat es immer gemangelt und nur wenn man in der Lage ist, Selbstkritik zu üben und die Kritik Andersgläubiger akzeptiert und aushält, kann Religion Gutes bewirkten.

... link  

 
Sie haben ja Recht, Behrens,
In religiösen Schriften gibt es haarsträubende Texte, übrigens auch im Neuen Testament, Paulus, der Wendehals, die Klemmschwester, der Frauenfeind, der sich ebenfalls von Andergläubigen abgrenzt und die Leute aufruft, sich der Obrigkeit zu unterwerfen. Ich würde am liebsten sechs Sorten Scheiße aus ihm rausprügeln, wenn das nicht so brutal wäre und er nicht schon lange tot wäre.
Aber meinen Sie nicht auch, dass die Mehrheit der Muslime nicht so krass drauf sind, wie die kranken Köpfe, die im Namen Allahs Leute umbringen? Das sind Kaputte, die das nicht etwa tun, weil der Islam sie dazu treibt, sondern die Umstände ihres Lebens.
Natürlich muss man sich auch mit seiner eigenen Religion kritisch auseinandersetzen und ich weiß, dass Muslime da in der Regel noch etwas unbeugsamer rüberkommen. Aber wir Christenpack, zu dem ich gehöre, haben da in Geschichte und Gegenwart etliche unrühmliche Kapitel. Die finden Sie aber auch bei den Anhängern sämtlicher Ideologien oder politischen Bewegungen. Menschen sind so. Es gibt immer und überall brutale Arschlöcher und ich glaube nicht, dass es die Religionen sind, die die Leute dazu machen.

... link  

 
Wie ich sehe, wird hier eine beinahe philosophische Diskussion geführt :-)

Ich hätte nicht gedacht, dass ich zur Islam-Verteidigerin werde! Ich glaube aber, dass die auf den Quellen der heiligen Schriften basierende Argumentation deren Einfuss auf die Jahrhunderte später lebenden Menschen überschätzt. Wenn ich an die großen Religionen/Lebensphilosophien denke, würde ich das höchste Gewaltpotential im Koran und im alten Testament, und das geringste im Buddhismus vermuten. Das Christentum mit der Botschaft der Nächstenliebe und Aufopferung würde ich irgendwo dazwischen lokalisieren. Und trotzdem gab es Zeiten, in denen ausgerechnet die christlichen Herrscher die schlimmsten Verbrechen begingen (Inquisition, Kreuzzüge), und wiederum Juden in den Jahrhunderten vor dem zweiten Weltkrieg Opfer der Vertreibungen waren. Es gab auch lange Zeiten, in denen Muslime sehr friedlich lebten, obwohl - da stimme ich Ihnen, Frau Behrens, zu - die Ausrichung des Korans für mich auch weniger friedlich als expansiv ist. Und auch Buddhisten schützt ihre sehr friedliche, tolerante Lebensphilosophie vor Verbrechen wie in Myanmar nicht.

Mit den Bibel- und Koranzitaten kommen wir also nicht weiter.

Ich glaube, dass man mehr über die aktuelle Auslegung der Religionen sprechen sollte. Und diese ist im 21. Jahrhundert bei den Muslimen definitiv fundamentalistischer und weniger tolerant als bei den Nicht-Muslimen. In diesem Kontext haben mich die Ergebnisse der Studie von Ruud Koopmans erschreckt - ich habe, nach vielen Jahren Beobachtung schon lange vermutet, dass es die Unterschiede gibt, hätte aber nicht gedacht, dass sie so groß sind:

https://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/islamischer-religioeser-fundamentalismus-ist-weit-verbreitet

Seine Frau ist übrigens Muslimin, ich denke also, dass er keine Vorurteile mit dieser Studie schüren wollte.

... link  

 
Frau Fabry, sicher möchte die Mehrheit der Muslime nicht in Terrorgefahr leben. Das Bezeichnende an der Reaktion von Muslimen auf Terroranschläge ist jedoch, dass sie zwar den Terror ablehnen, aber trotzdem sofort hinzufügen, dass die Veröffentlichung Mohammed-Karikaturen inakzeptabel und mitverantwortlich für die Terrorreaktionen sei. Dies heißt nichts anderes, als dass die Verantwortung zumindest zu einem großen Teil eben nicht in den Aktivisten des Terrors gesehen wird, sondern in denjenigen, die Karikaturen gezeichnet haben.

Ich bin auch Ihrer Meinung, dass es sich bei den Terroristen in erster Linie um Menschen handelt, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen. Allerdings ist die Philosophie des Islams bestens dafür geeignet, die Ursache in den Anderen und nicht in sich selbst zu sehen. Mohammeds Leben war ein einziger Feldzug und Kampf gegen „Ungläubige“, was liegt da näher, als ihm nachzueifern?

Natürlich gibt es auch in im Neuen Testament diverse Textstellen, die weder im Sinne von Gewaltlosigkeit noch im Sinne von Gleichheit (insbesondere der Geschlechter) sprechen. Aber das dürfen Christen laut und so oft wie es ihnen gefällt sagen. Das, was Sie über Ihre Meinung zu Paulus geschrieben haben, dürfen Sie auch schreiben und sie könnten sich sogar mit einem entsprechenden Schild in irgendeine Fußgängerzone stellen ohne dass irgendjemand über Sie eine Fatwa spricht. Dies ist der riesige Unterschied zum Islam – dort gibt es keine Freiheit auf Meinungsäußerung und wie ich eben beschrieben habe, gibt es eben auch unter den friedlichen Muslimen kaum jemanden, der daran etwas auszusetzten hätte.

Ein Beispiel für den unterschiedlichen Umgang mit Schuld ist die Beurteilung Martin Luthers. Auch wenn die evangelische Kirche das Lutherjahr groß feiern wird, gibt es durchaus nachdenkliche und kritische Töne. Margot Käßmann hat beispiesweise deutlich betont, dass wir nicht umhin kommen, uns auch mit den judenfeindlichen Äußerungen Martin Luthers auseinanderzusetzen. Obwohl ich sehr viel über den Islam lese und diskutiere, habe ich noch nie etwas gelesen oder gehört, was mit Käßmanns Ansicht auch nur annähernd vergleichbar ist.

... link  

 
Hallo Frau Behrens,
dann empfehle ich Ihnen Navid Kermani. Der steht vielleicht nicht für die Mehrheit der Muslime, aber die meisten evangelischen Thelogen sind auch nicht so klug wie Margot Käßmann.
Sie haben natürlich Recht, dass es notwendig ist, sich mit dem Islam kritisch auseinanderzusetzen. Aber die meisten, die meinen, Kritik üben zu dürfen, wissen viel zu wenig (ich im übrigen auch) und mir sind diese Behauptungen, dass eine bestimmte Religion die wesentliche Ursache des Übels ist immer suspekt, trotz protestantischer Ethik und den Auswirkungen des Pietismus in den USA auf die Mentalität der Mehrheitsgesellschaft. Ich halte es da eher mit den Buddhisten, die meines Wissens aussagen, dass die Wurzel des Leidens im Wollen liegt, insbesondere in der Gier.
Aber es bleibt ein spannendes Thema und es gibt ja auch gläubige Muslime, die ihre eigene Religion auf den Prüfstand stellen. Außerdem gab es jahrhundertelang keinen islamistischen Terror, nur Kapitalistischen, der laut Max Weber ja seine Wurzlen in der protestantischen Arbeitsethik hat. Das ist mir aber auchzu kurz gegriffen. Könnten wir uns darauf einigen, dass zwischen Religion und kulturellen, ökonomischen und ideologischen Entwicklungen eine Interdependenz besteht?

... link  


... comment
 
Armin Lachet...
... ist nicht in der Opposition sondern stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU !

... link  

 
Das war sarkastisch gemeint, er hört sich nämlich wie ein Oppositionspolitiker an mit seinen guten Vorschlägen! Als ob er die letzten 2 Jahre keine Chance gehabt hätte, ein paar davon umzusetzen...

... link  

 
Haha, Rusalka, ich habe es auch kurz ueberlegt!
:o)

... link  


... comment