Samstag, 24. Dezember 2016
Ich weiß nicht, woher ich komme, aber ich weiß, was ich will
Seitdem die kriminelle Karriere des Anis Amri erschreckend viele Sicherheitslücken im deutschen und europäischen System aufgezeigt hat, beschäftigt mich die sogenannte "Identitätsprüfung". Wir wissen mittlerweile, dass sich Tunesien mehrfach geweigert hatte, ihren Staatsbürger zurückzunehmen und es scheint gängige Praxis der Maghreb-Staaten zu sein, die Staatsangehörigkeit der straffälligen Migranten zu bestreiten.

Ich frage mich, wie das abläuft und wer zu dieser absurden Situation am meisten beiträgt: der deutsche Staat, der abzuschiebende Migrant oder das Herkunftsland.

Nehmen wir mal an, der Migrant möchte zurück - welche Möglichkeiten hat das Herkunftsland, ihn daran zu hindern? Angenommen, ich würde mich außerhalb der EU befinden, aus irgendeinem Grund ohne Papiere und straffällig, und Polen würde mich nicht zurückmehmen wollen (dass die Herkunftsländer in die Versuchung kommen, ist nachvollziehbar - wer möchte schon einen Kriminellen im Lande haben). Da ich aber in diesem spekulativen Szenario zurück nach Hause will, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich meine Heimat diesem Wunsch entziehen könnte. Ich würde schließlich meinen Namen, Adresse, Namen der Eltern, Namen der besuchten Schulen usw. nennen können. Ich würde meine Familie in Polen um eine Bestätigung meiner Identität bitten. Ich würde meine Identifikationsnummer nennen, die jeder Bürger in Polen hat und die ich zufällig auswendig kenne. Eigentlich hätte Polen keine Chance, mich nicht zurückzunehmen und ich glaube, dass es auf alle halbwegs funktionierende Herkunftsländer zutrifft. Wenn die betroffene Person also kooperiert und selbst zurück möchte, sollte die Beschaffung der Papiere möglich sein. Übrigens, bei den freiwillig rückkehrenden scheint die Weigerung der Dokumentenausstellung kein Problem zu sein, was mich noch mehr überzeugt, dass die Einstellung des Betroffenen entscheidend ist.

Nun frage ich mich, warum der Ausreisepflichtige überhaupt kooperieren sollte. Die Wahl ist schließlich zwischen der Heimat, die man verlassen wollte, und einer doch recht angenehmen Existenz in Deutschland. Statistisch stehen die Chancen, hier zu bleiben, sehr gut. Sei es über eine Ausreisepflicht, die nicht vollzogen werden kann, oder über eine Duldung - über 90% der abgelehnten Asylbewerber dürfen in Deutschland bleiben. Zurück in meiner hypothetischen Rolle der straffälligen Polin im Ausland: in Anbetracht dieser ermutigenden Zahlen würde ich selbstverständlich auch nicht kooperieren und möglichst widersprüchlige Angaben machen, damit Polen (selbst nicht besonders daran interessiert, mich willkommen zu heißen) mich ablehnen kann.

Diesen Weg hat offensichtlich auch Anis Amri gewählt. Sieben unterschiedliche Identitäten, drei Nationalitäten. Wer weiß, vielleicht haben bereits Italien oder Deutschland versucht, ihn nach Ägypten oder Libanon abzuschieben, und diese Länder weigerten sich, ihn zurückzunehmen? Zurecht natürlich. Und hier kommen die Sicherheitsbehörden ins Spiel, die für die Klärung der Identität zuständig sein sollten. Wie der Fall Anis Amris zeigt, kann es nicht so schwierig sein, wie uns erzählt wurde. Einen Tag nachdem sein Name gefallen ist, konnten wir bereits ein Interview mit seinem in Tunesien lebenden Bruder sehen. Das Unmögliche wurde möglich. Nur leider mit Hilfe von ein paar engagierten Journalisten, und nicht der Behörden, von denen man das erwarten würde.

Wäre die Bereitschaft, wahre Angaben zu machen, höher, wenn es klar wäre, dass jede falsche Angabe den Asylantrag sofort und ohne wenn und aber kippt? Oder wenn jeder bis zur Identitätsklärung in einer Transitzone bleiben müsste? Und wenn der Antrag schon abgelehnt wurde, würde die Kooperationsbereitschaft steigen, wenn man auf die Papiere in einer Abschiebehaft warten würde (nicht vergessen - wir sprechen von kriminellen Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde)? Ich würde es mit meinem gesunden Menschenverstand für wahrscheinlich halten. Warum passiert es aber nicht so? Insbesondere, warum wird die Abschiebehaft gerade für solche Fälle wie Anis Amri nicht ausgeweitet?

Einen Gefährder lückenlos zu überwachen, erfordert bis zu 30-40 Beamten - das kann die Polizei kaum leisten. Man kann ihn auch nicht einfach einsperren, denn er hat die Tat, die man befürchtet, per definitionem noch nicht begangen. Aber gerade bei ausländischen Gefärdern müsste man sich eigentlich über die Möglichkeit der Abschiebehaft freuen und sie auch nutzen! Offensichtlich ist diese Idee sogar zu den ranghöchsten und bis jetzt eher realitätsfernen Politikern durchdrungen:

Armin Laschet sagt: "Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, müssen unverzüglich abgeschoben werden. Für diese Gruppe abgelehnter Asylbewerber müsse die Abschiebehaft maximal ausgedehnt werden."

Sehr guter Vorschlag! Schade, dass Herr Laschet in der Opposition ist!

Moment mal...

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