Donnerstag, 6. Oktober 2016
"Ich habe mir aber eine Ärztin gewünscht!"
Als Frauenarzt ist man an einen sensiblen, rücksichtsvollen Umgang mit Patientinnen gewöhnt. Den intimsten Problemen muss mit absoluter Professionalität begegnet werden. Ob Frauenarzt oder Frauenärztin - das ist wiederum sehr individuell. Manche Frauen gehen gerne zum Frauenarzt, manche, besonders jüngere, zu einer Ärztin.

Heute kam es in unserem Kreissaal zu einem kleinen Kulturen-Clash. Ein typischer Mittwochmorgen, ein Kaiserschnitt hinter uns, der zweite steht noch aus. Plötzlich kommt unser jüngster Narkosearzt Tobias sehr verunsichert aus einem der Vorbereitungsräume und sagt: "Die Patientin hat sich eine Anästhesistin gewünscht!".

Wir Geburtshelfer sind an der Ich-wünsche-mir-eine-Frau-zur-Geburt-Front einiges gewohnt - auch wenn wir immer deutlich darauf hinweisen, dass es nicht garantiert werden kann, dass eine Gynäkologin zur Verfügung stehen wird. Aber Narkosearzt? Ernsthaft?

Nun ist Tobias nicht nur jung, sondern auch sehr lieb und hilfsbereit. Zwei Minuten später hing er schon am Telefon und fragte seinen Chef, ob es vielleicht doch irgendwo eine Anästhesistin gäbe, die "einspringen" könnte. Herr Chefarzt war - der Lautstärke des Gesprächs nach zu urteilen - von der Idee wenig angetan, eine seiner Ärztinnen mitten während einer Narkose aus einem OP-Saal abzuziehen. Ich würde mir auch als schlafende Patientin wünschen, dass meine Narkoseärztin bei mir bleibt, und nicht einfach mal für einen kurzen Einsatz ausgeliehen wird.

Frau-gegen-Mann-Tausch ging also nicht... Tobias gab aber nicht auf und entwarf mit einer der Anästhesieschwestern folgenden Plan: Er wird zunächst nicht in den OP-Saal reinkommen. Die Schwester wird die Patientin auf den OP-Tisch setzen, den Rücken abwaschen und so abkleben, dass nur ein Loch zu sehen wird - genau dort wo Herr Doktor seine Spritze für die Rückenmarknarkose setzen soll. Ziel: möglichst wenig nackte Haut sichtbar. Eine anästhesiologische Burka, sozusagen. Hier unterbrach ich das Brainstorming der befreundeten Fachdisziplin und schlug Tobias vor, der Patientin gemeinsam die schreckliche Nachricht zu überbringen, um dem eventuellen kulturellen Schock mit meinem mütterlichen Charme vorzubeugen. Das Angebot nahm Tobias dankbar an.

Das Gespräch verlief knapp: Tobias entschuldigte sich für etwas, was nicht seine Schuld war - nämlich für den Besitz eines Y-Chromosoms, und ich wies die Patientin darauf hin, dass in Deutschland Frauen manchmal von Männern behandelt werden, und umgekehrt, und "je früher Sie sich daran gewöhnen, desto besser".

Tobias ist fast ohnmächtig geworden (gut, dass wir bereits im Krankenhaus waren).


1000$-Frage: Woher kommen gut ausgebildete, versierte Ärztinnen in einem Land, in dem Frauen nur von Frauen behandelt werden dürfen? Antwort: Es gibt sie nicht.

Wen dieses Thema interessiert, wird sich über das Buch "Allah & Eva: Frauen in Pakistan" freuen. Die niederländische Autorin Betsy Udink lebte einige Jahre in Islamabad, und - anstatt in einem diplomatischen goldenen Käfig zu bleiben - bereiste das Land und lernte seine Sitten kennen. Cave: Das Buch lässt sich nur in kleinen Portionen lesen, da es wahnsinnig deprimierend ist!

... comment