Montag, 26. September 2016
Liebe Männer, bringt euren Frauen Deutsch bei!
Jeder, der mal im exotischen Urlaub unter einer Magenverstimmung gelitten hat, weiß, dass es kaum eine schlimmere Situation gibt, als in einem Krankenhaus den Ärzten und dem restlichen Personal ausgeliefert zu sein, ohne ein Wort zu verstehen. Das trifft natürlich weniger auf befreundete Länder wie Spanien oder Italien zu, wo man mit halbwegs guten Englischkenntnissen auskommt. Im weiter entfernten Ausland kann es aber durchaus passieren, dass die Kommunikation einfach nicht möglich ist, und man sich plötzlich auf dem Weg in einen OP befindet, ohne wirklich begriffen zu haben, was los ist. Ein Albtraum!

Gestern habe ich die dritte Geburt einer jungen Frau aus Afghanistan begleitet. Ihr Name Soraya kam mir bekannt vor, und ich erinnerte mich, dass sie ihr erstes Baby vor fünf Jahren auch in unserem Kreissaal bekommen hat. Damals sprach sie kein Wort Deutsch, und war auf die permanente Hilfe und Anwesenheit ihres Mannes angewiesen. Da die Herztöne des noch ungeborenen Kindes immer schlechter wurden, war ein Notfallkaiserschnitt notwendig - eine Situation, die auch für eine deutschsprechende Frau extrem stressig und belastend ist (nicht umsonst weinen viele Frauen, nachdem sie nach einem Notfallkaiserschnitt aufwachen - auch wenn an ihrer Seite das gesunde und süße Baby liegt). Zumindest aber versuchen die Hebamme und der Arzt auf dem Weg in den OP kurz und ruhig zu erklären, was los ist. Bei Soraya war es natürlich nicht möglich, und der Mann war selbst so überfordert, dass er gar nicht in der Lage war, zu übersetzen. Nachdem Soraya wieder wach war und mit ihrem wunderschönen Mädchen kuschelte, sprach ich einige ernste Worte mit dem Ehemann. Er müsse seine Frau unbedingt zu einem Deutschkurs schicken, sagte ich, und erklärte, wie traumatisch die Geschehnisse für sie sicherlich waren. Er möge sich doch vorstellen, wie sie sich fühlte: sie wusste nicht, was wir mit ihr vorhaben, warum sie plötzlich von so vielen Menschen umgeben ist, ob das Baby lebt oder vielleicht schon tot ist und und und... Ja, Soraya wird Deutsch lernen, geht klar, danke, Frau Doktor.

Bei der zweiten Geburt lief zumindest medizinisch alles tip top. Dass Soraya immer noch kein Wort Deutsch sprach, läge daran, dass sie mit dem Baby keine Zeit zum Lernen habe, hat mir der Mann versichert.

Und nun ist Baby Nr 3 auf der Welt. Das älteste Mädchen war bei der Aufnahme noch dabei und hat sich mit mir ganz süß auf Deutsch unterhalten. Mit Soraya konnte ich leider nur mit Händen und Füssen kommunizieren.

Und wisst ihr was? Ich finde es dermaßen egoistisch, kurzsichtig und gegen jegliche Logik, dass ich ausflippen könnte! Warum wird eine junge Frau nicht dazu ermuntert, die Sprache des Landes zu lernen, in dem sie lebt, die Sprache, die wohlgemerkt schon ihre Kinder anfangen zu sprechen! Wie soll sie sich mit der Schwiegertochter irgendwann unterhalten? (Wenn es dem Sohn gestattet wird, eine Nicht-Afghanin zu heiraten.) Wie soll sie an unserer Kultur teilhaben? Woher soll sie wissen, welche Rechte sie hat und an wen sie sich wendet, wenn mal etwas nicht gut läuft? Warum muss sie ihr ganzes Leben von einem der Kinder zu jedem Arzttermin begleitet werden, und warum muss die 12-jährige Tochter irgendwann der Mutter übersetzen, dass sie schwer krank ist, weil es keinen pashtosprechenden Dolmetscher in der Nähe gibt?

Warum kann es nicht anders laufen?

Männer, bringt den Frauen Deutsch bei! Oder lasst jemanden anderen es tun!

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