Montag, 26. September 2016
Die Frauen in Burka schaden niemandem, außer vielleicht sich selbst
Diesen Satz konnte man vor kurzem in der "Welt" lesen. Man kann von der Burka halten, was man will - man kann sie verboten sehen wollen, man kann sie zwar ablehnen, aber meinen, das Verbot geht gar nicht. Oder man kann die Entscheidung den Frauen überlassen wollen.

Zu behaupten aber, dass die Burka niemandem schadet außer der sie tragenden Frau, ist jedoch schlicht und ergreifend falsch. Eine vollverschleierte Frau schadet ihren Kindern, weil sie deren Integration verhindert, und sie schadet langfristig den anderen Frauen.

Vollverschleierung ist eine bewusste Abgrenzung und Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft. Mit welchen Vorstellungen wächst ein Kind auf, dessen Mutter ihr Gesicht verhüllt, jedes Mal wenn sie das Haus verlässt? Wie soll sich ein junges Mädchen in erster Linie als "Mensch", und dann erst als "Frau" definieren, wenn sie sieht, dass der Papa in kurzer Hose und T-Shirt am Leben teilnimmt, die Mama sich aber jeglicher Interaktion mit anderen Menschen in einem formlosen, schwarzen, alles verhüllenden Sack entzieht? Und bitte nicht gleich das Argument bringen, dass das Burka-Verbot dazu führt, dass die Frauen das Haus nicht mehr verlassen dürfen - gerne würde ich den Ehemann der Burka-Trägerin sehen, der mit vollem Engagement von nun an die Kinder vor der Schule abholt und einkaufen geht. Und vielleicht wäre das Verbot der erste Schritt der Befreiung für eine Frau, die sich zunächst damit auseinandersetzen muss, dass sie das eigene Gesicht zeigen darf, dass sie als eine Person in den Augen der anderen existiert. Vielleicht folgen weitere Schritte der Emanzipation (Verzicht auf das Kopftuch, Cafe-Besuch mit Freundinnen, Abendschule) oder vielleicht auch nicht. Aber der erste Schritt wäre getan.

Zu meiner zweiten Sorge: Je mehr Frauen sich verhüllen, desto schlimmer wird das Leben für die unverhüllten. Damit meine ich generell jede Art der Verhüllung, also Burka, Nikab, aber auch das Kopftuch. Ich habe in vielen Ländern im Studium und später als junge Ärztin gearbeitet, und kein Land ist mir so unangenehm in Erinnerung geblieben wie Ägypten. Wozu ein Geschlechterapartheid führt (dessen Symbol die Verhüllung der Frau ist), kann frau dort jeden Tag auf eigenem Leib spüren. Jeder linken Gutmenschen-Multikulti-Feministin, die alle anderen Kulturen bis auf ihre eigene bereit ist zu verteidigen, würde ich eins raten: verbringen Sie in Kairo wie ich ein halbes Jahr. Fahren Sie U-Bahn, gehen Sie auf die Strasse. Ob Sie entscheiden, ein Kopftuch zu tragen oder nicht, ist irrelevant. Sie werden nämlich unabhängig davon die ganze Zeit von Männern beobachtet, angesprochen, angemacht. Die sexuelle Frustration ist beinahe physisch in der Luft zu spüren. Man schreit Ihnen hinterher, und wenn Sie naiv sind, werden Sie vielleicht Sätze wie "Hey Hübsche, willst du mit mir ausgehen?" vermuten, wenn Sie aber jemanden bitten, die Sätze zu übersetzen, werden Sie herausfinden, dass es meistens Beleidigungen wie "Schlampe, Hure" sind. In jeder U-Bahn sind zwei Wagen nur für Frauen reserviert - nicht um uns eine bequeme Sitzgelenheit zu bieten, im Gegenteil, diese Wagen sind in der Regel hoffnungslos überfüllt, nein, der Grund war die enorme Anzahl der sexuellen Übergriffe im öffentlichen Verkehr. Die Tatsache, dass Männer und Frauen wenig "normale", ungezwungene, freundschaftliche Kontakte miteinander haben, führt zu einem - zumindest für uns Europäer - unglaublich sexualisierten Miteinander. Kein Wunder, dass sich viele Frauen entscheiden, sich immer mehr und mehr zu verhüllen - um am Ende von der Öffentlichkeit ganz zu verschwinden. Eine Freundin von mir, die bis von kurzem in Kairo gelebt hat, erzählte, dass es heutzutage kaum Frauen gibt, die kein Kopftuch tragen - anders als zu meinen Zeiten, als es noch ein bisschen gemischt war. Trotzdem ist die Gefahr, begrapscht zu werden, nicht geringer als früher. Ich würde sogar behaupten, dass je weiter sich die Geschlechter voneinander entfernen, desto mehr Spannung entsteht, und desto riskanter wird der Alltag der Frauen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das, was sich am 31.12.15 in am Kölner Hauptbahnhof abgespielt hat, in Kairo mehrmals täglich im kleineren Rahmen und ohne Medienberichte passiert.



Jemand, der sehr sachlich über diese Themen spricht, ist Frau Dr. Karin Kneissl, eine Nahost-Expertin aus Österreich:

https://www.youtube.com/watch?v=kdVFrX9iPmc&spfreload=10

Als ich Frau Kneissl für mich "entdeckt" habe, war ich recht überrascht, wie sehr sich meine subjektive Wahrnehmung von damals, als ich mit Anfang 20 in Kairo gelebt habe, mit ihrer fundierten Analyse deckt. Sehr zu empfehlen!

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